Seit meinem letzten Bericht am 5. Januar sind einige Wochen (und auch zwei Avastin Behandlungen) ins Land gegangen. Die beiden Therapien sind eigentlich nicht erwähnenswert, aber die Anreise zur Therapie am 15. Januar war schon besonders. Die war nämlich ausgesprochen mühsam, denn es hatte in Zürich geschneit. Und das leider nicht nur kurz und wenig, sondern lange und viel. So ausdauernd und kräftig, dass in der ganzen Stadt Zürich weder Busse noch Trams fuhren. Wie also hinkommen zum Unispital? Mit Ski mein Glück zu versuchen (wie meine Nachbarin, die ich im Treppenhaus traf), schied für mich aus. Erstens besass ich keine Langlauf- oder Tourenski und zweitens wusste ich sehr genau warum ich sowas nicht besass. 🙂
In der Hoffnung, dass der Schnee in der Stadt nachlassen würde und es nur hier in Seebach so viel von dem weissen Zeug gab, zog ich meine Wanderschuhe an und tippelte los. Erstes Ziel: Bahnhof Oerlikon, die S-Bahnen fuhren nämlich noch – zumindest zwischen Oerlikon und Zürich HB, alles andere war mir egal. Im Schnee zu laufen war mühsamer als ich erwartet hatte. Ich war recht lange unterwegs, da weder die Strassen noch die Gehwege richtig geräumt waren. Die Gehwege waren praktisch gar nicht geräumt, weshalb ich überwiegend auf der Strasse lief. Nach knapp 30 Minuten war ich am Bahnhof und stieg in die S-Bahn. Eigentlich hatte ich schon keine Lust mehr auf Laufen, aber ich musste ja noch vom Hauptbahnhof rauf zum Unispital. Nach insgesamt einer Stunde traf ich endlich in der Tagesklinik ein. Und das sogar pünktlich! Sensationell. Ich hatte ziemlich die Schnauze voll und war froh, endlich sitzen zu können. Das war echt anstrengend und der Gedanke, dass ich diesen ganzen Mist für den Rückweg nochmal machen muss, war echt nicht toll. Zu allem Übel hatte ich mir am linken Fuss eine Blase gelaufen. Im Spital gab es für mich Kaffee, Kekse und Schokolade und für meinen Fuss eine Desinfektion und ein Blasenpflaster. Zum ersten Mal fand ich die Dauer der Avastin-Gabe gar nicht so schlimm. Ich genoss die zwei Stunden, die ich im Spital war. Als ich fertig war, kämpfte ich mich durch den Schnee zurück nach Hause. Fazit: für diesen Tag genug des Sports! Am Abend war ich ziemlich müde und fertig – ich Sportskanone.
Donnerstag, 28. Januar 2021
Mein nächster wichtiger Event war das besagte PET-CT. Ich war nicht so richtig entspannt, als ich in der Klinik für Nuklearmedizin ankam. Also, auch nicht richtig gestresst, aber sicher etwas aufgeregt. Bevor überhaupt irgendwas passiert, muss man Blut abgeben und der Blutzucker wird bestimmt. Und das war schon das erste Desaster an diesem Tag. Mein Wert lag bei schlappen 9.5 mmol/l und ja, ich war absolut nüchtern! Upps, das war gar nicht gesund. Bevor es weiterging, bedurfte es der Rücksprache mit einem Arzt. Nach 10 Minuten Wartezeit wurde die Messung wiederholt: 8.5 mmol/l. Grundsätzlich immer noch viel zu hoch für einen gesunden Menschen ohne Diabetes, aber für die bevorstehende Untersuchung noch akzeptabel. Gerade noch die Kurve gekriegt, ich sah mich schon wieder nach Hause fahren. Stattdessen durfte ich mich in die schöne Klamotte vom Unispital werfen. Die Hose in zartem Grünton schmeichelte meinem Teint. (Sowas wollte ich schon immer mal schreiben!) Meine eigenen Schuhe hätte ich wieder anziehen können, aber ich entschied mich für die froschgrünen Vollgummi-Clogs, die für die Patienten bereitstanden. Sehr schick, das Farbkonzept ging auf. Derart stylisch vorbereitet, trat ich aus der Umkleide heraus und begab mich zu der Kollegin, die für das Anpieksen zuständig ist. Sowohl für diese radioaktiven Substanzen vor der Aufnahme als auch für das Kontrastmittel währenddessen, brauchte ich einen Zugang. Geplant war eigentlich, den Port dafür anzustechen. Eigentlich! Das Wort deutet es bereits an: es hat natürlich nicht geklappt. Warum auch? Auch die nächste Kollegin war nicht erfolgtreich. Zwei Versuche gab es insgesamt, dann schwenkten sie die weisse Fahne. Wir sprachen noch kurz darüber, dass mein Port kosmetisch wirklich toll ist, dafür aber schwierig anzustechen. Sie gaben auf und entschieden sich für einen Zugang im Arm. Der sass zum Glück beim ersten Versuch und die gute Ware lief in mich rein. Jetzt folgte der nervigste Teil der Untersuchung: rumliegen und warten. Wie schon gesagt, die meinen das auch so und man darf nicht mal sein Telefon zum Musik hören mitnehmen. Eine Stunde lang muss man vor sich hin dösen, damit sich die Substanz im Körper verteilt.
Nach einer Stunde wurde ich geholt und die Aufnahme gemacht. Das ging flott und war nach 20 Minuten fertig. Ich durfte mich wieder umziehen, wurde von meinem Zugang erlöst und durfte nach Hause gehen. Jetzt galt es zu warten. Normalerweise bestehe ich ja darauf, dass man mir auch selber einen Bericht zuschickt und nicht nur dem Arzt. Diesmal habe ich aber bewusst darauf verzichtet. Ich wollte das Ergebnis zwar wissen, aber irgendwie dann doch nicht so schnell. Ungewöhnlich für mich.
Die nächsten Nächte waren nicht so ganz toll. Ich schlief schlecht und träumte viel. So, dass ich morgens immer noch müde war. Ich merkte, das Ergebnis beschäftigte mich mehr als mir lieb war. Deshalb schrieb ich meinem Arzt am Sonntag eine Email und fragte ihn, ob das Ergebnis schon vorlag. Bis Dienstag hörte ich nichts von ihm und ich fragte mich woran das lag. Für mich gab es nur zwei Möglichkeiten: a) das Ergebnis war so scheisse, dass er Rücksprache mit dem Tumorboard halten wollte oder b) er war in den Ferien. Glauben wollte ich an b), befürchtet habe ich a).
Mittwoch, 3. Februar 2021
Am Mittwoch war meine Stimmung ziemlich am Boden. Ich wachte am Morgen mit Nierenschmerzen auf, der Gang zum WC bestätigte einen schmerzhaften Harnwegsinfekt. Klasse, auch das noch – mal wieder. Die Kopfschmerzen, die ich grübel- und wetterbedingt seit 2 Tagen hatte, waren auch noch nicht genug. Ich fühlte mich entsetzlich und ich zerfloss im Selbstmitleid. Für den Moment war einfach alles zu viel: das Lymphödem im linken Bein, der Infekt der Harnwege mit seinen Nierenschmerzen, übelst hohe Zuckerwerte und möglicherweise ein (sicher) riesengrosser!!! Tumor irgendwo in mir, trugen dazu bei, dass dieser Morgen in einen Heultag ausuferte. Ich heulte Rotz und Wasser, bis es mich vor Durst aus dem Bett trieb und ich Wasser auffüllen musste. Es war richtig, das waren alles keine grossen Sachen, aber in ihrer Summe erdrückten sie mich. Ich war mein Leben lang praktisch nie wirklich krank und jetzt hatte ich das Gefühl, ich holte rasant auf.
Die Tatsache, dass meine Zuckerwerte so hoch waren, überraschte mich nicht sonderlich. Nachdem ich in 2006 und 2008 jeweils eine Schwangerschaftsdiabetes hatte, wurde ich von den Ärzten vorgewarnt, dass mich dieses Schicksal evtl. später treffen könnte und ich aufpassen müsste. Mein Nüchterwert war auch schon immer etwas höher, allerdings nie so hoch wie jetzt. Und überhaupt: bei anderen Menschen wird eine Zuckerkrankheit festgestellt, weil sie Symptome haben. Bevorzugt einen auffällig starken Gewichtsverlust! Von Gewichtsverlusten bin ich Meilen entfernt. Wieso verliere ich kein Gewicht? Was stimmt mit mir nicht? Ich habe ja nicht mal Krebs mit Gewichtsverlust …
Eine tolle Freundin hat meinen Frust per Whatsapp aufgefangen. Danach ging es mir etwas besser. Zumindest reichte dieses Ventil und ihr offenes Ohr, dass ich mich in die Küche bewegen und das Mittagessen vorbereiten konnte. Die Kids kamen schliesslich bald aus der Schule.
Am Nachmittag rief mein Arzt aus dem USZ an. Meine Stimmung war inzwischen schon so weit am Boden, mich konnte nichts mehr schocken. Daher war ich am Telefon sehr gefasst, als mein Arzt mir erläuterte was in dem Befund stand: Oberhalb meines linken Schlüsselbeines leuchtet neu ein ca. 5 mm Lymphknoten. Alles andere ist unverändert. Allerdings ist dieser Lymphknoten noch zu klein und zu schwach aktiv, als das das Tumorboard eine Änderung der Therapie in Betracht zieht. Ach ja, und irgendwo im Unterleib gab es noch mehrere neue Lymphknoten, die aber nur da und (bisher?) nicht metabolisch aktiv sind.
Hm. Toll. Und jetzt? Das Gesagte musste ich erst verarbeiten. Das Ergebnis war nicht so richtig schlecht, aber auch nicht wirklich toll. Diesen neuen Leuchte-Lymphknoten hätte es nicht gebraucht. Warum konnte nicht einfach jemand aus einer grossen Kiste springen und rufen „Alles nur ein Scherz, du bist geheilt!“? Ich fühlte mich ja überhaupt nicht krank. Noch nie. Zumindest nicht in Bezug auf Krebs. Das was während der Chemo gefühlt noch sehr real war, ist jetzt, ein halbes Jahr später, völlig unwirklich. Einfach nur zu wissen, dass da etwas in mir ist und mir die Party zum 100sten Geburtstag vermiesen will, ist eigenartig. Und bis dahin kann ich nur abwarten. 🙁 Ich bedankte mich für seinen Anruf und wir verschoben das weitere Gespräch auf Freitag. Am 5. Februar um 10 Uhr hatte ich ja einen Termin bei ihm zur allgemeinen Kontrolle und eben der Besprechung wie es weitergehen würde. Für den Moment hatte ich alle Infos die ich wollte.
Donnerstag, 4. Februar 2021
Mein Stimmungstief war wieder vorüber. Ich hatte gute Laune und auch deutlich besser geschlafen als in den anderen Nächten. Für mich ein Zeichen, dass auch mein Kopf der Meinung ist: „Alles nicht so schlimm!“ Ausserdem hatte ich heute auch gar nicht so viel Zeit mich mit Krankheiten zu beschäftigen, denn ich bekam heute einen neuen Kühlschrank. Das alte Gerät hatte es nach 13 treuen Jahren hinter sich. Um 10 Uhr fuhr der Küchenfritze vor, eine knappe halbe Stunde später war mein niegelnagelneuer Kühlschrank eingebaut. Toll! Das gefiel. Fast wie Weihnachten, wenn es neue Sachen gibt und man keinen Rappen dazubezahlt. Ich konnte mich nur kurze Zeit an dem neuen Gerät erfreuen, denn die Arbeit rief. Da ich gestern alles andere als produktiv war, galt es die Stunden wieder aufzuholen.
Freitag, 5. Februar 2021
Das Wetter war super, als ich mein E-Bike hervorholte und zum Unispital am Flughafen Zürich fuhr. In dem neuen Gebäudekomplex THE CIRCLE war ich noch nie. Blauer Himmel, die Sonne schien – der Tag war toll! Nach 20 Minuten war ich da und suchte einen Parkplatz. Draussen liefen einige Mitarbeiter des USZ rum. Die waren offensichtlich dafür da, den Unwissenden und Hilflosen den Weg zu erklären. Ich fragte sie nach den Veloabstellplätzen und sie zeigten in die Richtung, in die ich dann auch fuhr. „Nah dran ist anders!“ dachte ich, als ich die ca. 100 m entfernten Veloplätze erreichte. Das dachten wohl viele andere auch, denn es war dort sehr leer. Nur ein einzige Velo stand dort noch. Damit mir in dieser Abgeschiedenheit niemand den Akku klauen konnte, nahm ich ihn mit. Velo abgeschlossen, Akku verstaut, Helm am Rucksack befestigt … ich machte mich auf den Weg zum Eingang des USZ. In diesem neuen Komplex konnte man richtig Meter machen, stellte ich schnell fest. Pünktlich um 10 Uhr hatte ich mein Ziel erreicht und stand bei der Aufnahme J in der 5. Etage. Ich durfte im Wartezimmer Platz nehmen und schaute aus dem Fenster. Eine tolle Aussicht hatte man von hier oben. Freie Sicht auf die Flugzeuge, den Üetliberg und überhaupt war es bei dem Wetter wunderschön. Ein Foto wäre noch nett, dachte ich und suchte mein Telefon. Hm. Nicht da. Auch meine Armbanduhr meldete, dass sie den Kontakt zum Handy verloren hatte. Blöd! Konnte das doch nur bedeuten, dass ich es am Veloständer liegengelassen hatte. Ich zog in Erwägung zurückzugehen. Da es aber schon viertel nach 10 Uhr war, lief ich Gefahr, dann meinen Termin zu verpassen. Das wollte ich ja auf keinen Fall. Ausserdem war mein Handy schon seit fast einer halben Stunde alleine da draussen … Ich entschied mich also nicht zu gehen. Vielleicht hatte ich ja Glück und es wartete auf mich.
Der Arzt kam nur wenige Minuten später und holte mich zum Gespräch. „Wie geht es Ihnen?“, war seine erste Frage. Freundlich sagte ich ihm, dass es mir sehr gut gehen würde und fügte sehr bestimmt „aber es würde noch besser gehen, wenn Sie endlich aufhören würden, irgendwelche Sachen in mir zu finden!“ hinzu. So, das musste mal klargestellt werden!
Das Gespräch war sehr gut. Er erläuterte mir, was dieser Befund bedeutet und das der leuchtende Lymphknoten einfach noch viel zu klein sei um erneut eine Chemo anzuwerfen. Gemeinsam schauten wir die Bilder an. (Wusstet ihr, dass man sogar im PET-CT moppelig aussehen kann?) Sie werden in sechs Monaten eine erneute Bildgebung machen und schauen wie es sich bis dann entwickelt hat. Das war ganz in meinem Sinne und ich erkundigte mich, ob es – sofern in einem halben Jahr der Knoten gewachsen ist oder noch Kollegen geholt hat – noch eine Alternative zu einer Chemo gab. Es gäbe noch einige Dinge die vielversprechend seien bei dieser Art Krebs. Er sprach einige mögliche Verfahren an und erklärte sie in groben Zügen. Das reichte mir fürs erste und ich sagte zu ihm „Ok, Sie wollen mir damit sagen, dass Sie noch nicht alles Pulver verschossen habe?“ Genau! 🙂
Nach der folgenden Untersuchung (Abtasten, gucken, Abstrich) konnte ich gehen. Soweit war alles ok. Gut gelaunt verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zu meinem Velo. Ein drittes Velo hatte sich zu meinem und dem fremden Velo gesellt. Fast direkt neben meinem stand es. Und was sah ich noch? Aus der Ferne? MEIN HANDY! Es hat auf mich gewartet. 🙂 Glück muss man haben oder wie meine Arbeitskollegin damals immer sagte „Du hast auch den Papst in der Tasche!“.
Wenn es mal läuft, dann läuft es auch! 🙂
Liebe Grüsse und bis bald
Anja
PS. Am Sonntag lief im mdr ein interessanter Bericht. Erschreckend viele Parallelen, aber dennoch gut. Ich kann mich durchaus in ihrer Gefühlswelt wiedererkennen! Hier gehts zum Video. Dauert knapp 30 Min.