Liebe Leute
Die Überschrift dieses Berichtes lässt vermuten, dass ich geplant den ganzen Sommer über nichts geschrieben habe. Dem ist aber nicht so, ich hatte einfach überhaupt keine Lust zu schreiben. Heute hole ich das nach. Seit meinem letzten Beitrag ist einiges passiert!
Wie ich schon im letzten Bericht erzählt habe, stand für Ende Mai „Wanderurlaub in England“ auf dem Programm. Mitte Mai befand ich mich mitten in den Vorbereitungen. Ich suchte meinen ganzen Wanderkrempel zusammen, prüfte meine Wanderschuhe und begann so langsam meinen Koffer zu füllen. Mit jedem Kleidungsstück welches den „passt-das-noch-Check?“ überstand, stieg die Stimmung und die Vorfreude auf die kommenden Ferien. Nachdem auch meine Regenhose den Grössentest mit Bravour bestanden hatte, fühlte ich mich unheimlich schlank, fit und gesund. Besser konnte meine Laune gar nicht werden. Diese phantastische Hochgefühl endete jäh, als ich nur wenige Tage vor meinen Urlaub einen Anruf aus dem Unispital bekam. Eine Ärztin aus der Gynäkologie rief an und bestellte mich dringlichst für eine Reihe von Abklärungen ein. Meine Schilddrüsenwerte seien noch schlechter geworden und das müsse sofort gecheckt werden. Auf meinen Einwand, dass ich eigentlich nur wenig Zeit hatte, weil ich mitten in den Ferienvorbereitungen steckte, erwiderte sie, dass sie mich nicht in die Ferien gehen lassen könnten… äh, wie bitte????
Ich habe sie gefragt, ob sie Witze machte. Leider meinte sie das völlig ernst. Meine Schilddrüse machte ihnen sehr grosse Sorgen, da ich inzwischen Werte vorwies, die sowohl die Gynäkologie als auch die Onkologie als äusserst kritisch empfanden. Die gute Frau faselte sogar etwas von lebensbedrohend und bestellte mich direkt für den nächsten Tag ein.
Nicht nur den nächsten, auch die folgenden Tage musste ich einige Untersuchungen über mich ergehen lassen: Lunge abhören, EKG, Ultraschall meines Herzens, Blutuntersuchungen und natürlich die Kontrolle meines Allgemeinzustandes. Mit diesen Schilddrüsenwerten hätte ich eigentlich müde und schlapp sein sollen. Ich war aber weder schlapp, noch müde. Ich fühlte mich grossartig – bereit für die kommenden Wanderferien. Mein Gott, was hat mich das genervt. Bereits am ersten Tag stellte ich klar, dass ich nicht plante meine Ferien abzublasen! Schwierig war, dass die Ärzte mit denen ich hier zu tun hatte, noch niemals derartig hohe Werte wie ich sie mitbrachte, gesehen hatten und deshalb sehr besorgt waren. Von Ödembildung rund ums Herz war die Rede. Wenn das passieren würde, wäre es schwupps mit mir vorbei. Alles ganz dramatisch und überhaupt, dass ich bei einer solch gewaltigen Schilddrüsenunterfunktion völlig symptomfrei in der Gegend rumliefe, sei auch nicht normal. Mein Einwand, dass mein Körper irgendwie anders funktionierte und sich eher selten an Lehrbücher hielt, änderte an der Meinung der Ärzte nur wenig.
Obwohl ich ich mich topfit fühlte und nicht wirklich in Erwägung zog meine Ferien abzublasen, wurde ich zunehmend unsicher. Einerseits kannte ich das ja schon, dass man mir eine schwere Krankheit anhängen wollte – ich erinnere da an die Nummer mit meinem Port-Infekt in 2016, als sie mich ständig stationär aufnehmen wollten -, anderseits fragte ich mich, ob ich vielleicht wirklich schlimm krank war und meine Lage hoffnungslos unterschätzte. Zum Glück habe ich viele gute Freunde und meine persönliche „Doktor House“ – Frau Dr. B. – ist eine von ihnen. Ich besprach die Situation mit ihr. Sie klärte mich auf, was da so in mir vorging und beruhigte mich. Die Gesamtsituation mit meiner Schilddrüse, der vorherigen Überfunktion und der jetzigen Unterfunktion sei nicht gerade “nichts“, aber das was da wirklich gefährlich war, hatte ich eigentlich schon hinter mir. Auch wenn ich nach England fliege sollte, die Wahrscheinlichkeit, dass ich in diesem Jahr in Prinz Charles Armen sterben würde, sei sehr gering. Im Gegensatz zu der Ärztin im USZ wusste sie natürlich auch was das bedeutete, wenn ich davon sprach Wanderferien zu machen. Dass meine Mitstreiterin und ich uns beim sporteln eher nicht verausgabten, war ihr völlig klar. 😂
Und so teilte ich meiner Ärztin im USZ mit, dass mein Entschluss stand: Ich würde in die Ferien gehen. Sie nahm das zur Kenntnis. Was anderes blieb ihr ja auch nicht übrig, schliesslich bestätigten auch die ganzen Untersuchungen, dass ich keine Probleme hatte. Im Rahmen meiner Möglichkeiten war ich kerngesund. Unser Flieger hob wie geplant am 21. Mai ab und ich sass drin! Wer Interesse hat unseren Trip nachzulesen, findet unseren Blog auf www.ladyhikers.ch.
Nach meinen überaus gelungenen Ferien (in denen ich überraschender Weise nicht gestorben bin), ging die Schilddrüsensache im Juni weiter: Ich erhielt kurzfristig einen Termin in der Endokrinologie – den Fachärzten für diese Angelegenheit. Einige Untersuchungen bestätigten schnell deren Vermutung: unter der Immuntherapie ist es zu einer Autoimmunreaktion gekommen – auf deutsch: das teure Zeug hat meine Schilddrüse gekillt. Sie ist unauffällig, klein … und tot. Das war doch mal ne Aussage mit der man etwas anfangen konnte. Ein Leben lang Tabletten futtern und fertig. Keine grosse Sache. Meine Frage, ob die aktuell pausierte Immuntherapie denn nun fortgesetzt werde könnte, bejahte die mir zugewiesene Ärztin, Tot ist tot, schlimmeres kann nicht passieren. Prima.
Als nächstes rief ich bei der Onkologie an und sagte ihnen, dass die Therapie fortgesetzt werden konnte und ich neue Termine brauchte. Auch fragte ich, ob es schlau wäre ein Bildgebung zu veranlassen, einfach um zu schauen, ob das Zeug mehr konnte als nur Schilddrüsen zu zerstören. Sie würden es besprechen, sagte man mir und einige Tage später erhielt ich per Post neue Termine für die Therapie und einen zum PET-CT am 30.6.2022. Es lief also wieder!
Nachdem ich im PET-CT und die Aufnahme im Kasten war, erwartete ich mit Spannung die Auswertung. Am 6.7. hatte ich einen Termin zur Besprechung. Ich wartet aufgeregt im hübschen Wartezimmer der Kaderärzte. Klang schon gleich viel wichtiger! Ein Arzt dieses Kaders holte mich dort ab und fackelte gar nicht lange, mir das erfreuliche Ergebnis zu überbringen: die Therapie mit Pembrolizumab ist erfolgreich. Die Aktivität in meinen Zellen ist zurückgegangen und teilweise sind auch die Lymphknoten kleiner geworden. Das konnte man als vollen Erfolg bewerten – eine neue Kontrolle sollte in ca. 4 Monaten erfolgen. Das war super. Darüberhinaus hat mich aber die Erklärung des Arztes, dass Pembrolizumab inzwischen schon fast Standard sei bei der Behandlung von Gebärmutterhalskrebs und nicht mehr wie noch im Februar etwas Neues, das nur mit Goodwill der Krankenkasse bezahlt wird, sehr erfreut. Sie müssten nach wie vor Kostengutsprache bei der Krankenkasse einholen, aber das sei normal bei so teuren Therapien. Und: war Pembrolizumab im Februar noch das einzig noch verfügbare Mittel gegen meinen Krebs, gab es in der Zwischenzeit schon wieder etwas Neues. Diese Aussagen trafen genau meinen Geschmack. Der Arzt sagte mir ausserdem, dass meine Einstellung zu meinem Untermieter super sei. Während viele Betroffene, trotz eindeutiger Prognose, wohl auf das Wunder der völligen Genesung hofften, sagte ich ihm, dass mir völlig bewusst ist, dass der Krebs nicht heilbar ist – er von mir aus auch bleiben dürfte, solange er sich weiter friedlich verhielt. Ingesamt ein gutes Gespräch, ich verabschiedete mich gut gelaunt und fuhr nach Hause. Der Sommer konnte kommen!
In den Sommerferien war ich mit den Kindern eine Woche in Osnabrück. Das Wetter war ganz gut, nicht wahnsinnig heiss, aber für unsere Unternehmungen absolut ok. Für den Pool im Garten reichte es auch meistens. Also alles schön. Mitte der Ferien lag Kind 1 plötzlich flach. Leichtes Fieber, schlapp, etwas Husten. Da er vor den Ferien bereits krank war, nahmen wir zunächst an, es handelte sich um einen Rückfall. Ein Test bestätigte zwei Tage später dann aber: Covid hatte ihn eingeholt. Super. Er verbrachte die nächsten Tage eher in Einzelhaft im Zimmer oder war draussen, sofern es seine Müdigkeit überhaupt zuliess. Er war schon sehr schlapp. Ein paar Tage später erwischte es mich. Ein Selbsttest bestätigte schnell, dass auch ich an COVID erkrankt war. Der Positiv-Strich des Tests war bereits dunkelrot, noch bevor der Kontroll-Strich für den korrekt ausgeführten Test überhaupt erreicht war. Somit fiel unsere geplante Rückfahrt am 1.8. aus. Die Fahrt mit dem Auto hätte ich nicht geschafft. Da Kind 2 völlig gesund und munter war, entschieden wir, ihn mit dem Zug zurück nach Zürich zu schicken. Oma hat ihn begleitet, da er nur wenig Lust hatte alleine zu fahren, Sehr praktisch, dass so Rentner alle Zeit der Welt haben. Wäre er mit uns gefahren, hätten wir ihn bei der Virenlast im Auto sicher angesteckt. Das musste ja nicht sein.
Ein paar Tage später fühlte ich mich fit genug die Fahrt mit dem Auto anzutreten. Die grösste Müdigkeit war vorbei und mit meinem Husten konnte ich unterwegs niemanden anstecken. Der einzige Mitfahrer war ja selber krank. Die Fahrt war ganz ok, vielleicht auch nur aufgrund mangelnder Alternativen. Mein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt. Schnelles Denken war schon sehr eingeschränkt, das konnte ich sehr deutlich merken. 750 km sind 750 km und ich war sehr froh, als wir endlich zu Hause ankamen. Glücklicherweise waren die Autobahnen sehr frei, das kam meiner gesundheitlichen Situation sehr entgegen. Müde fiel ich ins Bett.
Am nächsten Morgen ging es mir nicht wirklich besser. Ich war schlapp, müde und mein Kopf fühlte sich immer noch so komisch an. Ausserdem hustete ich wie blöde. Mir war klar: ich brauche Drogen, eine Krankschreibung und ein PCR Test konnte ja auch nicht schaden, dann gab es ja ein Genesenenzertifikat. Wer wusste schon, wann ich sowas mal wieder brauchen konnte? Also rief ich in der Hausarztpraxis an. „Bei uns ist alles voll, gehen Sie einfach in eine Apotheke und holen sich etwas gegen die Erkältungssymptome“ hiess es dann. Hm, dann müsste ich aber anschliessend noch zum Testcenter. Beim Arzt konnte ich alles zusammen erledigen. Also entgegnete ich der Dame ganz freundlich: „Ich bin an Krebs erkrankt, erhalte eine Immuntherapie und mir wurde gesagt, ich solle mich bei einer Erkrankung mit COVID am besten anschauen und abhören lassen.“ Das stimmt zwar überhaupt nicht und war frei erfunden, aber das K-Wort öffnete die Tür und ich bekam einen Termin für den nächsten Tag. Prima, warum nicht gleich so?
Beim Arzt war es dann sehr unspektakulär. Eigentlich alles schön und eine Lungenentzündung oder ähnliches in weiter Ferne. Das war jetzt nicht so überraschend für mich, schliesslich hatte ich ja auch keine Atembeschwerden. Ich liess einen PCR-Test über mich ergehen, erhielt Medikamente und eine Krankmeldung und fuhr wieder nach Hause. Mein Sofa wartete schon auf mich. Son kleiner Ausflug zum Arzt war schon anstrengend. Blöd war, dass ich in dieser Woche eigentlich auch einen Termin für meine Immuntherapie hatte. Den musste ich natürlich ausfallen lassen. Dieses COVID war alles andere als spassig und zog sich recht lange hin. Nach 10 Tagen war ich immer noch positiv. Die grössten Sorgen machte mir aber mein Kopf. Klar denken war fast nicht möglich und nach so langer Zeit beschlich mich schon die Angst, dass der Spass bleiben könnte. Dann fiel der Schnelltest plötzlich wieder negativ aus und ich konnte wieder unter Menschen. Am Sonntag bevor ich wieder zur Arbeit ging, veränderte sich auch das Gefühl in meinem Kopf. Endlich! Ich hörte mich am Montag zwar noch echt scheisse an, aber ich war negativ und mein Kopf schien wieder normal zu funktionieren. Also alles gut. Ich rief dann auch im USZ an und teilte mit, dass ich wieder gesund war und meine Immuntherapie nachgeholt werden konnte. Wenige Tage später erhielt ich per Post neue Termine und setzte die Therapie fort.
Jetzt sitze ich gerade im Zug von Osnabrück nach Zürich und erwarte mit Spannung, was die Deutsche Bahn heute für mich vorbereitet hat. Ich hatte gerade eine Woche Urlaub und war in Osnabrück und einige Tage in Berlin. Morgen stürze ich mich dann in die neue Arbeitswoche. 🙂
Ich wünsche auch euch eine schöne Woche und melde mich wieder im Oktober. Für Anfang Oktober ist ein erneutes PET-CT geplant und ich bin gespannt, ob der Kollege weiterhin friedlich bleiben will.
Liebe Grüsse, Anja