Die Euphorie wurde gebremst…

Liebe Leser*innen (ja, ich gendere jetzt!)

Manchmal frage ich mich wirklich, was ich Schlimmes verbrochen habe. Spontan fällt mir dazu wenig ein. Ich war ein entzückendes, aufgestelltes Mädchen – (fast) immer freundlich und fair – und bei meinen Freunden gar nicht mal so unbeliebt. „Hilfsbereit und gut“ wäre vielleicht etwas übertrieben, aber auch nicht wirklich böse. Ehrlich! (S.: Ich entschuldige mich nochmals für die Sache mit dem Joghurtbecher. Aber hey, wir waren in der zweiten Klasse. Das ist doch längst verjährt!)

Wie ich überhaupt darauf komme? Nun, irgendeinen Grund muss es ja haben, dass ich gerne nach einer vermeintlich guten Nachricht, eine weniger tolle Nachricht bekomme. 🙁

Am 31.1. war ich wie erwähnt im PET-CT. Diesmal in Schlieren. Lief alles gut und am nächsten Tag fackelte ich gar nicht lange und schrieb dem USZ eine Email. Ich wollte nicht warten, sondern sofort wissen, was die Bildgebung sagte. Mein Arzt war an dem Tag leider nicht da, aber es rief mich ein anderer Arzt an. Der war sehr nett und klärte mich auf, dass die Bilder nur gering von denen des Vorjahres abweichten. Die Lymphknoten seien minimal grösser geworden, aber so auf den ersten Blick nicht soooo dramatisch. Es sei halt eine chronische Erkrankung. Die Bilder würden aber auf jeden Fall noch vors Tumorboard zur Besprechung gehen und dann schauen sich die Profis die Sache an. Ok, das klang jetzt nicht so schlecht und bedeutete für mich irgendwie „Entwarnung“. Am Freitag musste ich noch Blut abgeben (das wollten sie ebenfalls für weitere Abklärungen haben) und alles war ok. Das Tumorboard tagte für meine Sorte Untermieter jeweils Dienstag Nachmittag.

Ich hatte das Tumorboard schon völlig vergessen und mich gar nicht mehr damit beschäftigt, bis ich gestern zur 2-Jahres-Kontrolle in der Urologie des USZ vorsprach. Nix schlimmes, sie wollten einfach nachschauen, was mein Harnleiter, den sie mir vor einigen Jahren rekonstruiert hatten, so machte. Als ich zu dem Arzt reinkam, hatte der gerade meine Krankenakte auf dem Bildschirm. Ein Blick von mir reichte und ich realisierte, dass das geöffnete Dokument der Bericht aus dem Tumorboard war. Irgendwann sagte mein Gegenüber etwas von „nicht so tollen Nachrichten aus der Gynäkologie“, was mich hellhörig werden liess. Der arme Kerl war völlig unvorbereitet auf meine Reaktion, ahnte er doch nicht, dass ich das Ergebnis noch gar nicht kannte. Er wollte dann nicht näher darauf eingehen, schliesslich betraf das eine andere Abteilung und nicht die Urologie, aber ich verhandelte mit ihm, dass er mir wenigstens den Schluss des Briefes zeigt. Dort stand nämlich die Empfehlung des Tumorboards und nichts anderes interessierte mich. Dort las ich dann „Chemotherapie Carboplatin Taxol“ und irgendein anderes Mittel, das ich nicht kannte. Es interessierte mich auch gar nicht so sehr, mich trafen diese ersten drei Worte. Das bedeutete, dass die Spassvögel eine erneute Chemotherapie für mich vorsahen und vermutlich danach statt des bisher verabreichten Avastin, ein anderes Mittel zur Erhaltungstherapie einsetzen wollten.
Während des nachfolgenden Gespräches – was dann auch die Urologie betraf – versuchte ich gelassen zu wirken und den immer grösser werdenden Kloss in meinem Hals klein zu halten. Meine Gedanken kreisten um etwas völlig anderes, als um meine Nieren die der Kollege inzwischen mittels Ultraschall anschaute. Alles schön, sagte er und noch irgendwas anderes. Ich ertappte mich dabei, dass ich ihm gar nicht mehr richtig zuhörte. Der Kloss in meinem Hals wurde immer grösser und ich dachte nur „jetzt bloss nicht rumheulen!“. Als ich das Wort „Blut“ hörte, war ich wieder bei der Sache. Er wollte Blut von mir. Wie schön. Mögen die Spiele beginnen!

Wie sollte es anders sein, die herbeigerufene Kollegin durfte keinen Port anstechen und fragte, ob es schwierig wäre an mein Blut zu kommen. Was sollte ich da sagen? Ich hatte ja so einige Geschichten darüber auf Lager. Besonders schön ist immer die von den zwei Anästhesisten die auch trotz Ultraschall keinen Zugang legen konnten… Herrlich! Entwickelte sich zu einem echten Klassiker. Der Gesichtsausdruck der Dame auch diesmal: unbezahlbar! 🙂 Etwas verunsichert fragte sie, ob sie es überhaupt versuchen solle. Jaja, sagte ich ihr. Manche trafen auf Anhieb. Immer tagesformabhängig. Sie versuchte ihr Glück und es floss Blut. Zumindest so lange bis die Quelle kurze Zeit später versiegte. Es konnte nur ein Röhrchen gefüllt werden. Die Suche nach einem neuen Ort zum Stechen brachte sie an den Rand der Verzweiflung. Ob ich vielleicht doch in die Tagesklinik raufginge? Die dürfen das. Ich habe mit ihr vereinbart, dass wir mal den Arzt fragen. Sie war sich zwar sicher, dass er die ganzen bestellten Röhrchen gefüllt haben will, aber das ist ja bekanntlich reine Verhandlungssache. Ärzte wollen immer alles was sie kriegen können. Der Arzt kam wieder rein und ich sagte ihm, dass er entweder auf die weiteren Röhrchen verzichten müsse oder noch eine Woche warten solle. Dann wird mein Port sowieso angestochen und Blut genommen. Wir einigten uns darauf, dass für den Moment nur das Crea wichtig ist und das betraf genau das Röhrchen welches wir hatten. Passte also. Seine Kollegin war auch sehr glücklich damit.

Als ich im Auto sass, schrieb ich meinem behandelnden Arzt in der Gynäkologie sofort eine Email, dass er mich bitte wegen des Berichtes vom Tumorboard anrufen möge. Vorsichtshalber schrieb ich auch dem Sekretariat, dass falls er selber nicht da ist, sich jemand anderes bei mir melden sollte. Um der Dringlichkeit Nachdruck zu verleihen, deutete ich an, dass ich die unschöne Empfehlung bereits mit Entsetzen gesehen hätte. Sie antworteten prompt, dass er selber im Hause ist und sich bei mir melden wird. Prima. Eigentlich war mein Plan ins Büro zu fahren, aber dazu war ich nicht mehr wirklich in der Lage. Nachdem ich den Termin in der Urologie hinter mich gebracht hatte, flossen die Tränen. Zuhause angekommen nötigte mich eine Freundin spazieren zu gehen. Sonne und laufen täte gut. Grummelgrummel…. na gut, mein Handy nahm ich aber mit! Wir liefen also durch die Gegend, redeten, die Tränen versiegten langsam und am Ende landeten wir in einer Gartenbeiz. Ein Bier ging immer, an einem derartigen Kacktag sowieso! Wir sassen in der Sonne bis sie unterging und gingen dann wieder nach Hause. Es tat tatsächlich gut.

Kaum war ich zu Hause, rief mich mein Arzt an. Er erwähnte, dass ich ja schon mitbekommen hätte, was in dem Bericht steht, woraufhin ich den Kollegen in der Urologie in Schutz nahm. Er selber kannte mich ja schon seit einigen Jahre und weiss, wie ich mitunter an Informationen komme. 🙂 Dann erklärte mir, was es für Gründe für diese Empfehlung gab:

Mein Untermieter verhielt sich unter der Erhaltungstherapie leider nicht so wie gewünscht. Er explodierte zwar nicht förmlich oder wuchs in grossen Schritten, aber dafür klein und stetig. Ein Wachstum ist messbar, was bedeutete, dass das Avastin nicht optimal funktionierte und der Untermieter sich ausbreiten konnte. Ausserdem verursachte das Zeug bei mir hohen Blutdruck und meine Nierenwerte bewegten sich auch eher in einem nicht gewünschten Bereich. Alles gar nicht besorgniserregend, aber in Summe ein Grund eine andere Therapie zu versuchen. Sie hatten inzwischen weitere Tests gemacht und festgestellt, dass das neue Präparat möglicherweise sehr gut für meinen Untermieter passen könnte. Der weist einige Punkte auf, an denen genau dieser Wirkstoff andockt und dann dem Tumor die Möglichkeit entzieht zu wachsen. In Studien gab es sogar Fälle in denen die Tumore förmlich dahinschmolzen. Das neue Medikament ist seit 4 Jahren auf dem Markt und für Gebärkörperkrebs freigegeben. Relativ neu auch für Gebärmutterhalskrebs. Ist das nicht toll für mich? So die Theorie, die sich wirklich gut anhörte. Ich sagte ihm, dass meine Sorge auch gar nicht dem neuen Präparat gilt. Es war die fiese Chemotherapie die ich vorher machen sollte, damit das Feld sauber ist für den neuen Stoff. Er erklärte, dass mir diese empfohlen wurde, da ich bisher super auf die Chemo reagiert habe (wir erinnern uns, die hat alles geputzt in 2020) und ich praktisch keine bösen Nebenwirkungen hatte. Sie also gut vertrug. Man könnte das Mittel auch ohne Chemo verwenden, aber es sei halt optimal, wenn sie auch diesmal kurz alles durchputzte. Klasse! Jetzt rächte es sich auch noch, dass ich mir unter der Chemo nicht tagelang die Seele aus dem Hals gek***** hatte.

Natürlich war mir klar, dass dieses Vorgehen sicher schlau war. Ich war ja nicht scharf darauf abzuwarten, bis ein Handeln dringend wurde. Aber hey, ich bin jetzt fit. Ich fühle mich klasse, mir geht es super. Ich freue mich über die Sonne, die den Frühling erahnen lässt. Und ich freue mich schon seit langem auf die Wanderferien im Mai. Alles gestorben. Sie werden mir wieder dieses Zeug verabreichen, dass mich ganz schnell wieder schlapp und krank macht. Ich will das nicht!

Ich fragte den Arzt, ob ich mich langsam doch auf die Suche nach gefälligem Grabschmuck machen müsse. Nein, bis ich dran bin, ist das Zeug veraltet und unmodern, sagte er. Na, das ich doch wenigstens eine Aussage mit der ich leben kann!

Soviel von mir. Ich denke, ihr werdet jetzt wieder öfter von mir lesen. Das USZ holt jetzt Kostengutsprache bei der Krankenkasse ein und dann kann der Spass beginnen. Toll!

Etwas traurige Grüsse
Anja

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