Am Freitag 19.6. klingelte gegen Abend mein Handy. Die Nummer kannte ich nicht. Ich ging trotzdem ran und war überrascht, meine Ärztin aus der Onkologie am anderen Ende zu hören. Mit ihrem Anruf hatte ich noch längst nicht gerechnet. Ich überlegte kurz, ob es wohl ein gutes Zeichen war, dass sie sich so schnell bei mir meldete – bevor ich den Gedanken jedoch zu Ende denken konnte, wurde ich eines Besseren belehrt: „Die Lymphknoten zeigen sich im CT unverändert“, sagte sie und fügte noch hinzu „wir werten das als gutes Zeichen!“. Peng, das sass! Ich stellte fest, wie sehr ich doch davon ausgegangen war, dass das Ergebnis ein anderes sein würde. Obwohl ich eigentlich von Anfang an wusste, dass der Krebs nicht weggehen würde, hatte ich doch gehofft, dass er mit der Chemo zumindest kleiner werden würde. Ich glaubte nicht an Wunder, aber irgendwie denkt man doch gerne, dass bei einem selber alles anders läuft – eben viel besser! Wem geht es nicht so?
„Wir sehen das positiv, da die Lymphknoten nicht gewachsen sind“, sagte sie. Na toll. In der Zeit zwischen dem allerersten PET-CT im Februar, bis zur ersten Chemo im April, hatten sich die Lymphknoten auch nicht verändert! Es könnte also genauso gut bedeuten, dass die Chemo mir – ausser einer neuen Kurzhaar-Friese – gar nichts gebracht hat. Toll! Die Haare hätte ich mir auch ohne Chemo abrasieren können. 🙁 Sie würden den Befund noch im Team besprechen. Falls es einen veränderten Schlachtplan geben wird (wovon nicht auszugehen ist), sprechen wir darüber Ende des Monats. Dann bin ich im Spital zur 5. Chemo und mein behandelnder Arzt ist auch wieder aus den Ferien zurück. Passt für mich, im Moment kann man eh nichts anderes machen.
Nachdem ich aufgelegt hatte, kullerten bei mir die ersten Tränen. So fühlt sich wohl die Phase 2 an – Erhaltungsphase! Kleiner wird der Mist nicht, also gilt es ihn am Wachstum zu hindern und so zu halten. Das war alles nichts Neues für mich, aber wenn es plötzlich so real wird, fühlt es sich fürchterlich an. Wie wird das die nächsten Jahre laufen? Der Abend war praktisch gelaufen. Meine Gedanken kreisten, ich grübelte und schaffte es nicht mal mich mit dem TV abzulenken.
Am Samstagmorgen war ich wie gerädert. Ich hatte nur Mist geträumt, mich hin und her gewälzt und sehr unruhig geschlafen. Ich quälte mich um 8 Uhr aus dem Bett und holte mir einen Kaffee. Dann ging ich wieder ins Bett. Ich hatte heute nichts vor und die Lust auf Programm war mir ohnehin vergangen, ich konnte also noch gut im Bett bleiben. Ich informierte meine engsten Freunde per Kurznachricht über die neuen Erkenntnisse. Nach telefonieren stand mir nicht der Sinn, ich musste die Sache erstmal sacken lassen. Die „Gespräche“ über diverse Messenger reichten für den Moment aus.
Um 10 Uhr erhielt ich überraschend eine Email von meinem Velohändler:
„Guten Morgen Anja
Das Velo wird endlich heute morgen aufgebaut, sprich du könntest am Nachmittag vorbeikommen, falls es so spontan für dich passen würde…“
las ich zu meiner grossen Freude. Es gab sie also doch noch, die guten Nachrichten. Natürlich konnte ich spontan kommen, was für eine Frage. Ich verabredete mich zu 15.30 Uhr. Endlich war mein neues E-Bike da!
Um 15 Uhr war ich parat zum Abmarsch. Nur noch schnell meine Bank- und Kreditkarte einstecken, dann konnte ich los. Das „nur noch schnell“ endete in einer 15 minütigen, erfolglosen Suche. Scheisse, irgendwie war nicht mein Tag. Meine Kreditkarte hatte ich gefunden, meine normale Bankkarte jedoch nicht. Dumm war, dass ich auf meiner Kreditkarte für diesen Monat nur noch 2.000 Franken zur Verfügung hatte und das würde nicht reichen, um mein neues Velo zu bezahlen. Lief richtig klasse! Inzwischen war es so spät, dass ich es zu Fuss nicht mehr rechtzeitig zu meinem Termin schaffen konnte. Also fuhr ich mit dem Bus. War ganz spannend, schliesslich bin ich seit Wochen nicht mit dem Bus gefahren. Einge Leute im Bus trugen sogar Masken. Alle Ü75 und ich! 😉
Pünktlich um halb 4 war ich im Laden. Der Verkäufer meines Vertrauens war noch mit einem anderen Kunden beschäftigt. Um mir die Zeit zu vertreiben, sagte ich einem Kollegen, dass ich nach oben ginge um einen Kaffee zu trinken, während ich wartete. Er riet mir scherzhaft davon ab, schliesslich würde ich doch Sport treiben wollen und da wäre in Bezug auf meinen Blutdruck ein Kaffee eher kontraproduktiv. Ich entgegegnete ihm, dass ich seit April regelmässig in den Genuss einer Chemotherapie komme und er sich ganz sicher sein kann: egal was passiert, es liegt sicher nicht am Kaffee! Schon überzeugt. Manchmal geht es so einfach. 🙂
Eine halbe Tasse Kaffee später, wurde mein bestelltes Velo geholt und ich konnte eine Probefahrt machen. Ich fuhr los und im ersten Moment erschien mir das Fahren sehr anstrengend. Ich realisierte schnell: es machte nicht wirklich Sinn im höchsten Gang zu starten. 🙂 Ich schaltete einige Gänge runter und es lief hervorragend. Ich wurde schneller und bog später von der Neunbrunnenstrasse auf die Birchstrasse ein. Die Himmeribrücke lag vor mir. Vor mir ein Mann auf einem Velo. Ich trat in die Pedale und fuhr wie der Blitz die Brücke hoch. Nach wenigen Metern hatte ich den Mann überholt. Ha, verblasen! Check. Ich war die Königin der Strasse!!!!
(Fairerweise muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass der Mann ca. 80 Jahre alt war und auf einem ganz normalen Velo fuhr – ohne elektrischen Schnickschnack. Dafür hat er meinen vollen Respekt, denn das hätte ich nie geschafft! – aber das klingt nicht so gut. Auch kennen einige LeserInnen die Brücke vermutlich nicht. Meine Schilderungen lassen vermuten, dass die Brücke sehr steil und lang ist. Ist sie nicht, aber sie ist einfach scheisse!)
Ich war Feuer und Flamme. Dieses E-Bike wollte ich haben. Jetzt und sofort! War nur noch die Sache mit dem Geld. Vielleicht ginge es mit TWINT. Google sagte mir, dass ich mein Limit auch selber in der Banken App erhöhen konnte, falls es nicht ausreicht. Klasse, somit war auch die Bezahlung kein Thema und nachdem der Papierkram erledigt war, gehörte das Velo mir. Im Laden schenkte mir der Verkäufer einen Korb für mein neues Gefährt, den ich gerne annahm.

Endlich konnte ich zusammen mit meinem neuen Velo den Laden verlassen. Zeit für eine ausgiebige Fahrt bliebt mir nicht mehr und so brachte ich das gute Stück einfach nach Hause. Anschliessend war ich mit einer Freundin zum Kaffee verabredet. Freizeitstress! Und das, obwohl ich doch heute gar nichts vor hatte.
In der Nacht hatte ich wieder Mühe zu schlafen. Auch, weil meine Gedanken rund um den Krebs noch kreisten, aber auch, weil ich mir überlegte wohin ich mit dem neuen Rad am Sonntag fahren sollte! Das waren gleich 2 Probleme auf einmal! Bis zum Morgen hatte ich zum Glück eine Lösung gefunden: ich wollte rund um den Flughafen düsen. Damit ich auf meiner ersten Fahrt nicht erfuhr, wie es so mit leerem Akku läuft, lud ich das gute Stück zunächst noch etwas auf. Nach dem Mittag ging meine Fahrt los. Guckst du hier <klick>! Das Fahren machte richtig Spass. Dass ich mich bewegt hatte, merkte ich aber auch. Von wegen, man sitzt nur rum.
Als nächstes werde ich den Weg zum USZ erkunden und auch eine Fahrt ins Büro machen. Dann habe ich die Wege auch gecheckt. 🙂
Liebe Grüsse und bis bald