Die ersten beiden Tag nach der Chemotherapie ging es mir eigentlich sehr gut. Der Kopf fühlte sich etwas „wattig“ an und ich hatte zum Teil Mühe klare Gedanken zu fassen, verlegte mein Handy und Brille ständig (ist übrigens super, ohne Brille eine Brille zu suchen!), vergass alles mögliche und mir war schnell klar: Chemo macht blöd! Bis auf diese geistigen Rückschritte, ging es mir körperlich sehr gut. Abgesehen davon, dass ich einen Geschmack im Mund hatte, als hätte ich an einem Silberlöffel gelutscht. Das war etwas lästig. Mit Übelkeit hatte ich überhaupt keine Probleme. Und selbst wenn, dagegen war ich mit so vielen Tabletten ausgestattet worden, dass es sogar für eine Grossfamilie reichen würde.
Am Karfreitag änderte sich die Situation allerdings plötzlich. Ich habe ganz normal gefrühstückt und es ging mir recht gut. Plötzlich baute ich ab. Mir wurde schwindelig, ein flaues Gefühl im Magen und ich hatte das Gefühl ich würde zusammenklappen. Da mir gar nicht wohl war, rief ich eine Nachbarin und gute Freundin zu Hilfe. Sie ist Ärztin und schon sehr oft meine Retterin in Not gewesen. Eigentlich gingen wir davon aus, dass mein Blutdruck sehr niedrig sein könnte. Die Messung ergab jedoch etwas ganz anderes: 196/105. Wow! Möglicherweise war der Auslöser für den hohen Blutdruck das Avastin (Antikörper), welches ich im Rahmen der Therapie bekam. Zumindest wird diese Nebenwirkung auf dem Aufklärungsbogen erwähnt. Nach Rücksprache mit dem Arzt im USZ erhielt ich von ihr blutdrucksenkende Mittel und verzog mich ins Bett.
Der Blutdruck sank. Jedoch fühlte ich mich schlechter, je mehr mein Blutdruck in den normalen Bereich wanderte. Da ich alleine zu Hause war, war ich nicht besonders scharf darauf in eine Situation zu kommen, mit der ich alleine vielleicht nicht zurecht kam. Ich rief meine Freundin erneut an und wir telefonierten mit dem Spital. Sicherheitshalber sollte ich einrücken um die Blutwerte zu checken. Vielleicht stimmte ja auch etwas anderes nicht.
Wir riefen eine andere Nachbarin an und sie brachte mich ins USZ. Anders als damals, brauchte sie mich einfach nur abzusetzen und musste keine Stunden mit mir im Notfall verbringen. Besucher waren nicht erlaubt.
Ich kam sehr schnell an die Reihe. Blut abgeben, Gespräch mit dem Arzt, Cornona Test (ich bin (noch) negativ) und dann kam ich auf Station. Es war ohnehin schon 18 Uhr, da war es mir ziemlich egal, dass ich dableiben sollte. Ich bekam ein Zimmer für mich alleine, Blick auf den See – ging eigentlich wohl. Ausserdem konnte ich mit dem Arzt verhandeln, dass ich keinen Venenzugang brauche und in der Lage bin, genügend Flüssigkeit durchs Trinken aufzunehmen. Dieser Umstand hat die Stimmung etwas verbessert.
Nach einiger Zeit habe ich von der Pflege ein Pflaster aufgeklebt bekommen. Dieses sollte den Blutdruck senken. Den Hinweis, dass das Ding bei manchen Menschen Kopfschmerzen verursacht, hörte ich und sollte später erfahren, was das genau bedeutet.
Etwas erschöpft von den Geschehnissen des Tages, schlief ich erstaunlich gut ein. Mitten in der Nacht erwachte ich mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Die Nachtschwester gab mir ein Schmerzmittel und ich schlief wieder ein. Um 7 Uhr war die Nacht jedoch endgültig vorbei und die Kopfschmerzen auch wieder da. Abgesehen von diesen Kopfschmerzen hatte ich eigentlich gut geschlafen.
Mir ging es nicht wirklich gut. Mir dröhnte der Schädel, mir war flau im Magen und der Anblick des Frühstücks weckte keinen Appetit. Ich verzog mich zum stillen leiden wieder im Bett. Es dauerte gar nicht lange und alte Erinnerungen kamen hoch: dieses Unwohlsein und die Appetitlosigkeit, der Blick auf scheiss See… auch der bekannte Geruch der Seife sorgten dafür, dass ich anfing zu heulen. Das hatten wir doch schon mal alles. Damals im November 2015, als ich wegen Problemen mit dem sprudelnden Lymphwasser in Bauch und Beinen und den sich verabschiedenden Nieren eingeliefert wurde – psychisch völlig am Anschlag. Ich merkte, wie mich meine Erinnerungen förmlich überrannten und mich runterzogen. Ich fühlte mich hundeelend und konnte nichts dagegen tun.
Aufs Mittagessen verzichtete ich ebenfalls. Der Druck im Magen und im Kopf liess keinen Bissen zu. Ich fühlte mich wie auf einer Abwärtsspirale und hatte Angst genauso zu enden wie damals: Wochen im Spital. Schnell wurde eine Psychotante aufgeboten, die am Nachmittag kam. Ich habe mich mit ihr unterhalten und obwohl ich mich wegen der Kopfschmerzen am liebsten verkrochen hätte, war das nicht so schlecht. Zumindest konnte ich sie überzeugen, dass ich keinerlei Drang verspüre mir Grabschmuck auszusuchen… Sie gab mir noch eine Tablette zur Beruhigung und verzog sich wieder. Alles gut, man kann mich frei laufen lassen, ich bin keine Gefahr für mich und andere. Anschliessend steckte noch kurz die Seelsorgerin des Spitals den Kopf zur Tür hinein, aber mir war nicht mehr nach quatschen. Das war ok und sie schenkte mir einen grossen Schokoladenosterhasen. Schokolade ist ja auch irgendwie eine Art Therapie.
Zu späterer Stunde hatte ich die Schnauze voll von den Schmerzen. Ich klingelte nach der Pflege und sagte ihr, dass mir bei so starken Schmerzen eigentlich nur noch ein Migränemittel hilft. Da ich das in Deutschland frei kaufen kann, wusste ich nicht, wie ein ähnliches Präparat in der Schweiz hiess. Schnell ergoogelte ich die notwendigen Infos und sie ging damit zur Neurologie um das entsprechende Medikament verordnen zu lassen.
In der Zwischenzeit hat auch die Assistenzärztin realisiert, dass dieses Pflaster nicht der richtige Weg für mich ist und hat eine Kollegin (Internistin) geholt. Die hat mich untersucht, mir das blöde Pflaster entfernt und mir etwas anderes verordnet. Mittlerweile kam auch das Migränemittel aus der Neurologie an und ich fiel müde und völlig erschöpft ins Bett. Schlafen! Nur noch schlafen! Der Samstag war echt übel.
Ich habe super geschlafen und als ich am Ostersonntag erwachte, fühlte ich mich wie neu geboren. Die Kopfschmerzen waren weg, der Blutdruck so lala und ich hatte Hunger. Vor allen Dingen war mir klar: ich musste hier raus. Schnellstmöglichst, denn ein Aufenthalt im Spital weckt zu viele Erinnerungen und zieht mich runter.
Die erste Person die ich sah, war eine von der Pflege. Ich sagte ihr, dass ich so schnell wie möglich raus will und erwähnte auch gleich, dass ich keine Lust auf die Experimentierfreude der Assistenzärztin habe, die vielleicht wieder ein Pflaster oder ähnliches 24 Stunden lang beobachten möchte. Ich wollte raus. Heute!
Machen wir es kurz: statt mit der Assistenzärztin zu sprechen, wurde mir direkt die Oberärztin ans Bett geschickt. Ich versicherte ihr, dass ich 3 x täglich meinen Blutdruck messen würde und die verordneten Tabletten nehmen würde. Ausserdem hatte ich meine persönliche Ärztin in der Nachbarschaft. Ich durfte gehen und wurde von einer Nachbarin aus meinem Haus mit dem Auto abgeholt. Klasse, endlich nach Hause!
Der Rest vom Sonntag war so halbentspannt. Ging eigentlich recht gut, bis auf die Tatsache, dass mein Blutdruck viel zu hoch war, war alles ok. Am Montag erwachte ich völlig entspannt, ich hatte richtig gut geschlafen und fühle mich gut. Bei dem Gedanken meinen Blutdruck messen zu müssen, merkte ich jedoch, wie Panik in mir aufstieg. Was war das schon wieder für ein Mist? Jeder, der schon einmal dieses Gefühl hatte, weiss, dass man dagegen sehr machtlos ist. Ich rief meine Freundin an und erklärte ihr, dass ich nicht in der Lage bin meinen Blutdruck zu messen. Ganz schlimm! Sie kam vorbei, versuchte mich zu beruhigen, gab mir etwas pflanzliches und wir konnten messen. Das Messergebnis war nicht gerade toll, aber zumindest war es fürs erste überstanden.
Ich versuchte mich mit fernsehen abzulenken. Das funktionierte leider gar nicht gut und ich merkte, wie immer wieder leichte Panikattacken hochstiegen. Ich Psycho hatte inzwischen Angst davor, in Panik zu verfallen, die dann ja möglicherweise aussagt, dass ich doch wieder ins Spital muss, weil ich es alleine nicht schaffe. (Manchmal glaube ich wirklich, ich wäre in einer geschlossenen Anstalt doch besser aufgehoben).
Mir war klar, dass das so nicht weiterging und rief eine Freundin an, ob sie kommen könnte. Sie fackelte gar nicht lange und kam direkt vorbei. Schnell merkte ich, wie gut mir die Anwesenheit tat und sich sämtliche Spannung löste. Wir haben einen sehr schönen Nachmittag verbracht und sie ist erst am Abend gefahren, als wirklich sicher war, dass es mir gut geht. Das Messen meines Blutdrucks löste keine Ängste mehr aus und ich war sicher, die Krise nun als erledigt betrachten zu können.
Am Dienstagmorgen war die Welt wieder völlig in Ordnung. Ich hatte gut geschlafen, war entspannt und das Messen war kein Problem. Das Ergebnis war leider immer noch nicht wie gewünscht, aber zumindest schien die Seele wieder friedlich zu sein. 🙂 Puuuh!